Die ersten Veränderungen in dem landwirtschaftlich geprägten Gebiet des Bremer Westens begannen durch die zunehmende Industrialisierung bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Während einerseits in der Hafenwirtschaft und in Großfabriken viele Arbeitsplätze geschaffen wurden, war die Arbeit hingegen schlecht bezahlt. Aus der existentiellen Not heraus suchten die Arbeiter:innen der Häfen, Webereien und Großmühlen Flächen westlich der Stadtteile Findorff, Utbremen sowie Walle und Gröpelingen, um diese zu parzellieren und Gemüse anzubauen. Mit den Gärten schufen sich die Fabrikarbeiter:innen mit ihren Familien gleichzeitig einen Kontrast zur monotonen Lohnarbeit. Neben den gebürtigen Bremer:innen kamen ebenso Zugewanderte aus dem ländlichen Umland sowie aus dem Ausland, sodass Menschen verschiedener Nationen und Konfessionen nebeneinander gärtnerten. Die Kleingärten entwickelten sich schließlich zu einem sozialen Treffpunkt und dienten der Erholung, wodurch die Parzellenkultur sich als wichtiger Bestandteil der Arbeiterkultur etablierte.
Maßgeblich geprägt durch die wirtschaftlichen und politischen sowie gesellschaftlichen Veränderungen des ersten und zweiten Weltkriegs erfuhren die Kleingärten (Arbeitergärten) einen enormen Bedeutungszuwachs. In Zeiten von Lebensmittelkrisen und Obdachlosigkeit suchten viele Familien Zuflucht in den Parzellengebieten. Man begann "Wohnbuden" zu bauen, für die es selten eine Baugenehmigung gab. Mit der Zerstörung ganzer Stadtteile sowie einem anhaltenden Flüchtlingsstrom wurde das Recht auf Wohnen auf Parzelle als Notquartier ausgeweitet. Bremens Bürgermeister Kaisen legalisierte schließlich 1945 das Schaffen neuen Wohnraums, sogenannte Kaisenhäuser, in dem bereits gewachsenen Kleingartenareal. Die frühen Nachkriegsjahre waren insbesondere von Initiativkraft und gemeinschaftlicher Solidarität geprägt. Durch die erschwerten Lebensbedingungen in den Parzellengebieten ohne Strom- und Wasserversorgung, ohne Kanalisation oder Infrastruktur wuchsen eine besondere Identität und ein Gemeinschaftsgefühl. Gleichzeitig gewann das Wohnen im Grünen immer mehr an Beliebtheit, sodass sich erste Strukturen eines Stadtquartiers herausbildeten und das Leben zunehmend autarker wurde. Im Bremer Westen sollen zu diesem Zeitpunkt bis zu 10.000 Menschen gelebt haben. Die Wohnkultur hatte sich somit in den Parzellengebieten gefestigt.
Mit den Wirtschaftswunderjahren veränderte sich wiederum die Bedeutung und die Nutzungsart der Kleingärten. Mit wachsendem Wohlstand zogen viele Arbeiter:innen in Stadtwohnungen, die nunmehr bezahlbar waren. Mit dem Wegzug ließen viele ihre Häuser abreißen oder nutzten die Parzelle nur noch als Sommerresidenz. Ihr Garten diente als einen Ort der Erholung und zum Freizeitvergnügen. Parzellist:innen und Kaisenhausbewohner:innen die blieben, führten die gewohnte Lebens- und Wohnform fort. Einigen der Kaisenhausbewohner:innen wurde 1955 das "Auswohnrecht" zugesprochen und damit ein lebenslanges Wohnrecht ermöglicht. Während der 1980er und 1990er Jahre erlebten die Parzellengebiete eine zweite Wohnwelle. Diese war nun nicht mehr aus materieller Not heraus entstanden, sondern angetrieben von Bremer: innen auf der Suche nach günstigem Wohnraum sowie alternativen und ökologischen Lebensformen. Es entstand ein Nebeneinander von alteingesessenen Kaisenhausbewohner:innen, Kleingärtner:innen und neu Zugezogenen. Diese Zusammensetzung führte unweigerlich zu Konflikten. Dennoch einigte sie der Erhalt der Gartengebiete. Aktive der Hausbesetzerszene und der Bauwagenbewegung stießen in den 1990er Jahren dazu.
Heute sind nur noch vereinzelt Kaisenhäuser bewohnt. Inzwischen haben viele der damaligen Bewohner:innen mit Auswohnrecht ihre Häuser verlassen oder sind verstorben. Ebenso ist das dauerhafte Wohnen auf Parzelle nicht mehr gestattet. Der Umgang mit den verbliebenen Wohnhäusern stellt die betreffenden Kleingartenvereine heute vor eine finanzielle und zeitintensive Herausforderung. Den Kleingartenvereinen ist es ein Anliegen freie Gärten zu pflegen, um sie in Zukunft verpachten zu können und um kleingärtnerisches Tun zu ermöglichen. Dies erfordert Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen der freien Gartenflächen genauso wie Sanierungs- oder Abrisskosten. In der Vergangenheit führte jedoch eine abnehmende Kleingartennachfrage zu rückläufigen Mitgliederzahlen und Pachtausfällen. Das Ausmaß der freien Parzellen wuchs dabei derart an, dass die Vereine im Rahmen der vereinsinternen Gemeinschaftsarbeit, dem Pflegeaufwand personell und zeitlich nicht mehr nachkommen konnten. So verwilderten die Parzellen zunehmend, wodurch die Anzahl an Brachflächen und verwahrloster Grundstücke stark anstieg. Dieser Zustand rückte schließlich vor wenigen Jahren in den stadtentwicklungspolitischen Fokus, mit dem Ziel die in Vergessenheit geratenen Qualitäten und Potenziale des Kleingartenareals zu stärken und zu fördern. Im Rahmen der Entwicklung des Naherholungsparks Grüner Bremer Westen sind dafür bereits verschiedene Projekte auf den Weg gebracht worden. Die Revitalisierung des Gebietes bewirkte zuletzt, dass die Nachfrage nach Kleingärten wieder deutlich anstieg. Gleichwohl besteht derzeit ein pandemiebedingter Ansturm auf Kleingärten, der die ansässigen Kleingartenvereine neu belebt.
Eckler-von Gleich, C. (Hg.) (2007): Walle - Utbremen 1860 - 1960. Ein photographischer Streifzug. Kulturhaus Walle - Brodelpott. 1. Aufl. Bremen: Ed. Temmen.
Freie Hansestadt Bremen (2016): Eine grüne Oase für Walle und Gröpelingen. Der "Naherholungspark Bremer Westen". Hg. v. Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr. Bremen. Online verfügbar unter https://www.bauumwelt.bremen.de/umwelt/parks_und_gruenflaechen/gruener_bremer_westen-71757, zuletzt geprüft am 15.03.2021.
Tiedemann, K. (2012): Mehr als ein Dach über dem Kopf. Bremens Kaisenhäuser; von der Notunterkunft auf der Parzelle zur Wohnkultur im Garten. Bremen: Bremer Tageszeitungen (Schriftenreihe / Bremer Zentrum für Baukultur, 16).